Neandertal in der Liebe
High Tech im Krieg, Neanderthal in der Liebe
(Kapitel aus dem Buch: Der unerlöste Eros von Dieter Duhm, © Verlag Meiga)
Homo sapiens hat seine Intelligenz bisher in den Krieg investiert, nicht in die Liebe. Evolutionsforscher und Gehirnphysiologen haben sich ernsthaft Sorgen gemacht, ob ein Gehirnfehler vorliegen könnte. Der Mensch, vor allem der männliche, hat seine Libido so sehr in Waffen, Panzer, Schlachtschiffe und Raketen gesteckt, daß er den Krieg einfach geiler findet als den Frieden. Krieg ist sexy. Alle Abrüstungsverhandlungen scheitern bis heute an dieser unausrottbaren Tatsache der männlichen Seele. Die Inbrunst, mit der ordenbeschnallte Männer gemeinsam ihre militärischen Strategiespiele betreiben, übertrifft um Größenordnungen die Brunst, mit der sie ihre Frauen begatten. Der Mann, das steckengebliebene Kind, findet hier seinen Einsatz, seine Bedeutung und seinen heiligen Ernst. Er, der die Frau noch nicht kennt, weil sie sich ihm schon als Mutter entzogen hat, er kennt um so mehr das Sakrament des Krieges.
Das Kriegsspiel ist vielleicht so alt wie der Mensch, es entstammt einem archaischen Impuls des Paläolithikums. Als der Cromagnon-Mensch den Neandertaler überfiel und ausrottete, mag er etwas Ähnliches empfunden haben wie die Soldaten Alexanders in Tyros oder wie die amerikanischen Soldaten in My Lai (Vietnam). Der Mensch wird ergriffen von einer Vernichtungslust, die gelegentlich alle anderen Lüste übersteigt. Und als die Kommunisten ihre Brüder zur Sonne und Freiheit führen wollten, da endete auch für sie, die sonst an wenig Heiliges glaubten, ihr Kampflied mit dem Ausruf: »Heilig die allerletzte Schlacht!« Die Liebe war dem Manne unerreichbar wie ferne Poesie, der Krieg aber war sein Schwur und sein Gebet. Der Sex war Notdurft, die Kanone ein Sakrament. Wenn der Mann in der Geschichte seine Frauen und Kinder so gepflegt hätte wie sein Schwert und seine Kanonen, dann hätten wir längst den Garten Eden auf Erden.
Der Mensch hat fernlenkbare Geschosse, elektronische Abwehrraketen und sich selbst lenkende Lufttorpedos entwickelt, nichts schien ihm hier unmöglich. Derselbe Mensch schnaubt vor Eifersucht, wird rot wie ein Pavian oder blaß wie Schafskäse, wenn es um Liebe geht. Sie planen gemeinsam den interstellaren Krieg, aber greifen zum Faustkeil, wenn es um Frauen geht. Während in der Technologie des Krieges das Vorderhirn zum Einsatz kommt, lebt und denkt der Mensch in der Liebe aus dem Rückenmark. Während Disziplin und Weitblick das militärische Spiel bestimmen, ist in der Liebe noch immer jede Emotion erlaubt. Wir messen hier, ohne weiter darüber nachzudenken, in allergrößter Selbstverständlichkeit mit zweierlei Maß, einem sehr hohen für den Krieg und einem sehr niedrigen für die Liebe. In der Rüstung liegt die Latte inzwischen auf 2,50 m; in der Liebe scheitern die meisten immer noch bei dem Versuch, über 50 cm zu hüpfen. Sie wollen auch gar nicht hüpfen, weil sie doch gelernt haben, daß die Liebe etwas fürs Herz sei und nicht Gegenstand einer geistigen Bemühung. Daß Waffentechnik und Kriegserfolg mit Forschung zusammenhängen, ist jedermann klar. Daß Liebe ebenfalls mit Forschung und Erkenntnis zu tun haben könnte, liegt außerhalb des steinzeitlichen Bewußtseins. Während sie im Krieg zu den härtesten Durchhalteproben bereit sind, suchen sie in der Liebe das grüne Weideglück der Kühe, und während in den Laboratorien des Krieges Systemzusammenhänge und Fakten studiert werden, hält man sich in der Liebe immer noch an die alten Märchenbücher. Man soll sich hier bloß nichts vormachen. Die progressiv-dynamische Turnschuhgeneration unserer Zeit schmückt sich mit Superelektronik und galaktischen Frisuren, im Herzen aber träumen sie dieselben Märchenträume wie unsere Omas. Schneller sind die Autos geworden und die Wandlungen der Mode, aber nicht das wirkliche Nachdenken über die Fragen der Liebe.
Wenn es heute einen Übergang gibt von der alten Zeit der Gewalt zu einer neuen Epoche struktureller Gewaltlosigkeit, dann liegt er in einem fundamentalen Wechsel unserer Prioritäten. Dieselbe Liebe und Aufmerksamkeit, dieselbe Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit, dieselbe Herzenskraft und Intelligenz, welche der Mensch bisher entwickelt hat, um sich gegenseitig zu vernichten, muß er jetzt entwickeln für die Fragen der sexuellen Liebe. Wir können heute nicht mehr mit Friedenstauben und frommen Liedern gegen die Allmacht des Krieges vorgehen; zu groß, zu ehrlich und zu tief ist heute die latente Faszination an Krieg und Untergang, und viel zu schwach, zu unentwickelt und zu halbherzig sind die bislang entwickelten Vorstellungen vom Frieden. Wir werden erst dann an eine globale Überwindung des Krieges glauben können, wenn wir eine Sache gefunden haben, die noch größer und noch faszinierender ist als Krieg und Kräftemessen – und dies könnte tatsächlich die Sache der sinnlichen Liebe sein im Sinne einer ehrlichen, freundschaftlichen, kraftvollen, geilen und solidarischen Verständigung der Geschlechter, die wirkliche Wiedervereinigung von Mann und Frau. Nur ein Wille und eine Intelligenz, die in der Lage sind, die Grundstrukturen zu schaffen für ein Liebesleben ohne Angst und ohne Gewalt, werden auch in der Lage sein, die alten martialischen Seelennester gründlich und für immer auszuheben. Der Mensch, der Raumfähren ins All geschickt hat, wird auch in der Lage sein, das Thema des unerlösten Eros zu lösen, wenn er die vollen Kräfte seines Willens und seiner Intelligenz auf diese Aufgabe richtet. Er muß wissen, daß die Quellen, die Energien und Wachstumsvorgänge der Schöpfung auf eine reale Liebesmöglichkeit gerichtet sind, die wir verwirklichen können, wenn wir sie wahrnehmen. Keimungsvorgänge von Pflanzen, Strömungsvorgänge im Wasser, Lernvorgänge in Kindern zeigen uns etwas vom Wesen des Lebens und der Liebe, das wir nicht mehr ignorieren können. Das Leben ist leicht und groß und nicht linear, es läßt sich in keine Programme pressen.