Lieben mit der

offenen HAnd

 

Lieben mit der offenen Hand

(Verfasser unbekannt) 

Als ich mich diesen Sommer mit einem Freund unterhielt, erinnerte ich mich an eine Geschichte die ich gehört hatte:
,, Eine einfühlsame Person beobachtete, wie ein Schmetterling versuchte, sich aus seinem Kokon freizukämpfen. Ganz behutsam und zart löste sie einen Faden nach dem anderen und schuf eine kleine Öffnung. Der Schmetterling war befreit. Er kam aus seinem Kokon heraus und flatterte herum- konnte aber nicht fliegen.
Was die einfühlsame Person nicht wusste, war die Tatsache, dass die Flügel nur durch den Geburtskampf stark genug werden, um fliegen zu können.
Der Schmetterling verbrachte sein verkürztes Leben auf dem Boden; er machte nie die Erfahrung, was Freiheit bedeutet. Er lebte nie wirklich.“

Ich nenne es: ,, Lernen mit der offenen Hand zu lieben“.
Dieses Lernen wuchs langsam in mir.
Es wurde bearbeitet in den Feuern des Schmerzes und in den Wassern der Geduld. Ich lerne, dass ich den freilassen muss, den ich liebe.
Denn wenn ich halte und klammere, wenn ich versuche zu kontrollieren, verliere ich das, was ich zu bewahren versuche.

Wenn ich versuch jemanden zu verändern, weil ich zu wissen glaube, wie diese Person sein sollte, beraube ich ihn eines kostbaren Rechtes- des Rechtes, Verantwortung für sein eigenes Leben, für seine eigenen Entscheidungen und für sein Verhalten zu übernehmen.

Wann immer ich jemandem meine Wünsche aufdränge oder versuche Macht auszuüben, beraube ich ihn der vollständigen Realisierung von Wachstum und Reifung. Ich begrenze und behindere durch meinen Besitzanspruch, unabhängig davon, wie liebevoll meine Intention ist.

Mit liebevoll beschützenden Handlungen kann ich andere einschränken und beleidigen. Meine überzogene Sorge signalisiert dem anderen deutlicher noch als Worte: ,, Du bist unfähig, für Dich selbst zu sorgen. Ich muss mich um Dich kümmern, weil Du mir gehörst. Ich bin für Dich verantwortlich.“

Je mehr ich ausprobiere, desto besser gelingt es mir, jemanden den ich liebe, zu sagen:
,, Ich liebe Dich. Ich schätze Dich. Ich respektiere Dich und vertraue darauf, dass Du die Kraft hast oder entwickeln kannst, all das zu werden, was für Dich möglich ist- wenn ich Dir nicht im Wege stehe.
Ich liebe Dich so sehr, dass ich Dich freigebe, damit Du in Freude und Trauer neben mir gehen kannst.
Ich werde teilhaben an Deinen Tränen, aber ich werde Dich nicht bitten, nicht zu weinen.
Ich werde Deine Bedürfnisse befriedigen und Dich umsorgen, aber ich werde Dich nicht stützen, wenn Du alleine gehen kannst.
Ich werde bereit sein, Dir in Kummer und Einsamkeit beizustehen, aber ich werde nicht immer mit Dir übereinstimmen.
Manchmal werde ich wütend sein und wenn dem so ist, werde ich versuchen, es Dir direkt und offen mitzuteilen. Dann brauche ich mich nicht über unsere Unstimmigkeit zu ärgern oder mich von Dir zu entfremdet zu fühlen.
Ich kann nicht immer bei Dir sein und Dir immer zu hören, denn von Zeit zu Zeit muss ich auf mich selbst hören und für mich selbst sorgen.
Wenn das so ist, werde ich so ehrlich sein, wie ich kann.“

Dies lerne ich, denen zu sagen, die ich liebe und für die ich sorge, sei es in Worten oder in der Art, wie ich mit mir umgehe. Und ich nenne es „ Lieben mit der offenen Hand“.
Ich schaffe es nicht immer, meine Finger vom Kokon zu lassen, aber es gelingt mir immer besser.